Sehr viel fotografiere ich in der Umgebung von Tasiilaq, der Ort liegt einfach wunderschön: Hineingeschmiegt in eine Bucht im Fjord, die bunten Häuser leuchten, ebenso der ausgiebig genutzte Fußballplatz mittendrin.
Straßen gibt es wie überall in Grönland nur im Ort. Aber laufen ist ohnehin eine meiner liebsten Fortbewegungsarten. Das Erwandern von Tasiilaq hat aber seine Grenzen, wenn man nur Tagesausflüge ohne Zelt im Rucksack macht. Ich komme bei meinen Touren nie so weit, wie ich will. Aber das ist normal, die klare Luft lässt alles näher erscheinen, die Strecken sind aber beträchtlich. Wie immer stellt Grönland auf den Kopf, was wir so zu wissen meinen.
Richtung Süden zum Polarstrom
Die ersten Tage führen mich immer wieder Richtung Süden. Nach wenigen Kilometern stetigem Auf und Ab ist das südliche Ufer der Ammassalik-Insel erreicht, auf der Tasiilaq liegt. Der Blick schweift weit über das Meer – sofern es keinen Nebel gibt – und über die dort vorbeitreibenden riesigen Eisberge.
Ostgrönland wird bestimmt vom Polarstrom, der in Nord-Süd-Richtung an der Küste vorbeiströmt. Er sorgt für das kalte Klima, das rauer ist als an der Westküste, wo das aufgewärmte Wasser wieder Richtung Norden strömt. Der Ostgrönlandstrom bringt auch das Packeis aus der polaren Eiskappe hoch im Norden. Viele Jahrhunderte war der Packeisgürtel so dicht, dass es lebensgefährlich war, diesen zu durchqueren. So hat man erst 1884 entdeckt, dass in Ostgrönland Menschen leben. Die Ivi wiederum glaubten, sie wären alleine auf der Welt. Für mich ist die Landschaft eng verwoben mit der Geschichte dieses Volkes.
Jetzt im Hochsommer blüht es bunt auf den Hängen. Erstaunlich viele verschiedene Pflanzen wachsen auf den baumlosen Flächen. Baumlos stimmt nicht ganz, es gibt verschiedene Arten aktischer Weide, die aber nur ein paar Zentimeter hoch werden. Zu rau ist das Klima, zu gnadenlos und lang sind die Winter und die wilden Stürme des Winterhalbjahres. Zur Flora mache ich aber noch einen Extrabeitrag.
Tasiilaqs Blumental
Eine Tour führt mich durch das Blumental. Hat man den „Klubben“ passiert, die Kneipe, geht der Weg bergan zum Friedhof. Grönländische Friedhöfe sind besonders, so auch der von Tasiilaq. Eine Flut von bunten Plastikblumen schmückt die Gräber. Insofern ist mir nicht ganz klar, ob das Blumental deswegen so heißt oder ob damit die bunten Blumenwiesen an den Hängen gemeint sind. Manchmal sind an den Kreuzen Bilder angebracht und es ist schockierend, wie viele junge Menschen darunter sind.
Ein dunkler Teil des grönländischen Lebens ist die hohe Zahl an Selbstmorden. Und nein, der Grund ist nicht die Dunkelheit im Winter. Sondern das Auseinanderbrechen einer Gesellschaft, der ein westliches Leben übergestülpt wurde, ohne den Menschen eine Perspektive zu bieten. Einer Jägergesellschaft, die Jahrhunderte subsistent gelebt hat, das Jagen zu verbieten, das heißt, einem Volk den Sinn zu nehmen und die Strukturen zu zerstören. Ein Volk, das sich immer selbst ernährt hat, von Robben, Eisbären, Walen, Fischen ist nun von Sozialhilfe und Supermarkt abhängig – und von mit hohem Aufwand importierten Lebensmitteln. Nachhaltig ist anders. Bevor jemand fragt: Landwirtschaft kann hier nicht betrieben werden, es gab früher nur zu essen, was man jagen konnte.
Wer mehr wissen will, dem sei das Buch von Robert Peroni oder das Buch von Birgit Lutz empfohlen.
Wegloses Gelände
An stillen Seen vorbei geht es für mich über wegloses Gelände in den Steilhang hinauf bis zu einem wunderschönen Aussichtspunkt hoch über der Welt.
Auch hier blühen die unermüdlichen grönländischen Glockenblumen, lilablaue Tupfer auf dem von Flechten schwarzen Fels. Blauer Himmel, blaue Seen, blaues Meer, Gipfel, blendende Schneefelder. Sonst Stille.
Abstieg über Schneefelder und Wasserfälle zum See und am See entlang, der wie ein Spiegel in der rauen Bergwelt liegt. In der Ferne rauschen die Wasserfälle, kleine Wellen schwappen im leichten Wind an den Strand, Schneeammern rufen in die glasklare Luft hinein. Zu meinen Füßen ein großer Tuff dunkelpurpurfarbener Gletscherhahnenfuß. Zum Luftanhalten schön. Raum für die Seele.
Hier die Landschaft zum Hören:
Entlang des Fjords
Eine andere Tour, diesmal nicht alleine, führt mich entlang des Fjords und dann entlang eines breiten Bachlaufs, in dessen Pools wunderschöne arktische Saiblinge schwimmen: Dunkel mit roten Tupfen und einem weißen Rand an den Flossen.
Am Ufer des Fjords liegen die Überreste eines Wals. Kein Aufschrei bitte! Es gibt Fangquoten für die indigene Bevölkerung, das Fleisch wird geteilt. Der Fang findet recht traditionell statt, es gibt hier keine fabrikmäßige Jagd mit großen Schiffen, die die Walbestände überhaupt erst an den Rand der Ausrottung gebracht hat. Im übrigen gibt es überall Fangquoten.
Den bunten Bilderbogen mit weiteren Fotos findet Ihr am Ende des Beitrags.
Nächtliches Zauberlicht
Die Tage sind lang im Sommer. Tasiilaq liegt etwa 100 Kilometer südlich des Polarkreises, so geht die Sonne ein kleines bisschen unter und verschwindet hinter dem Horizont, mal hinter dem einen, mal hinter dem nächsten Berggipfel, es bleibt aber immer hell. Im Ort ist an einem schönen Sommerabend auch um Mitternacht viel los, Familien spazieren über die Wege, auf dem Sportplatz wird noch gespielt und die Kinder springen lärmend auf den allgegenwärtigen Trampolinen herum. Hier nutzt man die lichten Tage aus, es kommen bald wieder andere Zeiten.
Nachts gibt es wunderbare Stimmungen zu sehen, wenn die Sonne von unten gegen die Wolken scheint. Der fast windstille Fjord strahlt in den Himmelsfarben, die Schatten haben die zarte Tönung der blauen Stunde. So auch im Titelbild, das das Rote Haus um etwa ein Uhr nachts zeigt.
Jede Nacht zaubert der Himmel eine andere Mitternachtssonne, je nachdem, wie die Wolken stehen. Manchmal fließt der Seenebel in den Fjord und steigt an, sobald es kühler wird. Manchmal wabert er um die Berge, manchmal steigt er so hoch, dass er sich wie ein wattiger Vorhang vor die gesamte Szenerie schiebt.
Es lohnt sich also, aufzubleiben oder nachts aufzustehen, um nach dem Himmel zu sehen. Anfangs wache ich immer auf und glaube, ich müsste schon aufstehen, dabei ist es meist erst halb drei, also Sonnenaufgang. Schlafen bei Licht ist eben Gewöhnungssache.
Und hier zum Abschluss noch Futter für die Augen aus meiner Lieblingslandschaft. Im nächsten Beitrag nehme ich Euch dann wieder mit ins Eis.
Christine Bahlo meint
So phantastisch! Danke liebe Sylvia, dass wir Deine Reise geradezu „hautnah“ in Bildern und Deinen wunderbaren Texten dazu miterleben dürfen.
Sylvia Knittel meint
Danke liebe Christine!