Nun bin ich schon eine Woche zurück in San Francisco und genieße die Zeit mit meiner Familie. Und so bin ich noch nicht dazu gekommen, über die letzten Tage der Reise zu schreiben. Denn es gab noch einen wirklichen Höhepunkt im Redwood National Park. Drei Tage hatte es viel geregnet. Am Morgen des 22. war es immer noch grau, aber halbwegs trocken, also prima Wetter für die Redwoods.
Die Redwood-Familie
Mein erstes Ziel war der Lady Bird Johnson Grove. Er liegt oberhalb von Orick, eine steile Straße führt den Berg hinauf in einen alten Redwood-Bestand. Diese mächtigen Bäume strahlen eine Zeitlosigkeit und Majestät aus, die einen gefangen nimmt. Erstaunlich hell ist so ein alter Redwood-Bestand. Die Bäume stehen relativ weit auseinander, so dass Licht zu Boden fällt – und mich auch der eine oder andere leichte Nieselschauer erreichte. Dort gedeiht eine niedrige Vegetation aus Farnen, Rhododendren, Tanoaks (Notholithocarpus densiflorus), Salal (Gaultheria shallon), Heidelbeeren, Moosen und Flechten, die den Boden schön feucht halten.
Es gibt insgesamt drei Arten von Redwoods. Metasequoia glyptostroboides kommt in China vor und wächst in vielen Regionen in Europa, nachdem in den 1950er Jahren viele Samen importiert wurden. Sequoiadendron giganteum wächst an den Hängen der Sierra Nevada in Kalifornien. Er wird über 3000 Jahre alt, ist extrem winterhart, trockenresistent und wird fast 100 Meter hoch. Noch höher, aber schlanker wird der Küsten-Redwood, Sequoia sempervivens, mit dem wir es hier zu tun haben. Mit 115 Metern ist er der höchste Baum der Welt. Um so groß zu werden, benötigt er viel Wasser und dauerfeuchtes Klima.
In einem typischen alten Redwood-Wald stehen neben den Redwoods auch riesige Douglasien und Hemlock. Douglasien (Pseudotsuga menziesii) werden auch „Oregon Pines“ genannt, weil sie in den Wäldern an der Küste von Oregon sehr häufig sind. Sie gibt es auch noch in einer Rocky Mountain-Variante. Ebenso Bewohner der gesamten Küste sind die Western Hemlocks (Tsuga heterophylla). Die Hemlocks gibt es ebenfalls in einer Gebirgsvariante als Tsuga mertensiana. Douglasien und Hemlocks bilden dichte, aber dunkle Wälder. Auch eine Fichtenart wächst hier, die Sitka Spruce (Picea sitchensis). In den Redwood-Wäldern sind alle drei Beigabe.
An den Bachläufen, wo der Wald nicht ganz so dicht ist, finden sich auch wunderbare Ahorne, dick mit Moos bewachsen. Diese habe ich am Nachmittag bei meiner Wanderung direkt im Nationalpark entdeckt. Nur ein paar wenige Meter weiter vom viel besuchten „Tall Tree“ ist auch am Sonntag niemand unterwegs und ich habe die Natur genossen.
Industrie vs. Naturschutz
Die Geschichte der Redwoods ist auch eine von mächtigen finanzielle Interessen: Einst bedeckten die Redwood-Wälder die ganze Küste im Süden von Oregon und im Norden von Kalifornien. Indianer lebten dort, in Gebiet des heutigen Prairie Creek Redwoods State und National Park die Yurok. Dann kamen nach 1850 die weißen Siedler und dem Goldrausch folgte der Holzrausch. Holz war das Lebenselexir des nördlichen Kalifornien, die Säge ihr Emblem. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren schon so viele Wälder bis zum Grund abgeholzt, dass 1918 die Save the Redwoods League gegründet wurde – mit Erfolg: 1923 hatte der Staat fast das ganze Gebiet des heutigen Prairie Creek Redwood NP aufgekauft. 1968 wurde das Gebiet zum Nationalpark erklärt.
Das war noch nicht das Ende. Nach dem zweiten Weltkrieg blühte die Redwood-Holzindustrie auf. Bis heute sind viele stolz auf ihre Logging-Tradition. Mit der Zeit wurden die Fäll-Methoden immer perfekter und effizienter – und damit auch viel schädlicher für die Umwelt. Kahlschlag folgt Erosion und Windbruch – bei den steilen Hängen hier ist das fatal. Heute noch gibt es Flächen, die nicht wieder zugewachsen sind.
1980 waren 95 Prozent des alt gewachsenen Redwood-Bestands gefällt. Der Rest ist Gebiet der National und State Parks und damit geschützt. Die State Parks umfassen auch Gebiete, die bereits kahl geschlagen wurden und nun langsam wieder zu wachsen. Sie wurden teils vom Staat, teils von privat organisierten Gruppen gekauft, um die schützenswerten Gebiete auszudehnen.
Auf alle privaten Waldflächen stehen Redwoods zweiter oder gar dritter Generation, typischerweise mit mehr Douglasien, Sitkas und Hemlocks dazwischen, den am meisten kommerziell genutzten Bäumen. Die Holzindustrie ist noch immer stark in der Region, aber mittlerweile stark reguliert, um Gewässer und Berge besser zu schützen. Kahlschlag kann man hier kaum mehr sehen.
Leben und sterben
Bis zu 2000 Jahre alt wird ein Küsten-Redwood. Die meisten Waldbäume sind allerdings zwischen 600 und 800 Jahre alt. Die ersten hundert Jahre sind sie mit Wachsen beschäftigt. Bis zu seinem zweihundertsten Geburtstag wird er das Blätterdach bei etwa 100 Metern erreicht haben und damit bei den großen Bäumen am Licht sein. Dann wird der Stamm sukzessive dicker.
Redwoods produzieren Samen aus winzigen, olivengroßen Zapfen. Die erfolgreichste Vermehrung aber erfolgt über Wurzelsprossen. Wer genau hinschaut, kann an der Basis des Baums kleine Knollen entdecken. Teilweise sind diese auch schon ausgetrieben.
Wildfeuer sorgen immer mal wieder dafür, dass die Vegetation zwischen den Bäumen ausgelichtet wird. Ihr fallen auch Douglasien, Sitkas und Hemlocks zum Opfer. Die Redwoods haben eine extrem nasse Rinde, so dass sie Feuer überleben, manchmal sogar, wenn der Stamm in Teilen verbrannt ist. Oder irgendwann kommt einer der vielen Winterstürme an der Küste und fällt den Baum. In solchen Situationen garantieren die neuen Triebe aus dem alten Baum das Überleben des Baumes.
Das Gras der Redwods
Das Holz der Redwoods ist sehr hart, es dauert Jahrzehnte, bis es zerfällt. In der Zwischenzeit wachsen neue Bäume auf und über ihm, Tiere nutzen ihn als Unterschlupf. Spalten und Ritzen sammeln Regenwasser und geben Pflanzen die Möglichkeit auszutreiben. Sehr bald schon wird der Boden bedeckt sein. Zunächst mit den allgegenwärtigen Farnen.
Das Gras der Redwoods ist der Farn. Insgesamt sieben Arten gibt es hier. Auf meinen Wanderungen habe ich vor allem fünf Arten gesehen. Flächendeckend wächst Polystichum muntium, der Westamerikanische Schwertfarn. Blechnum spicant ist ebenfalls sehr häufig. An sonnenabgewandten steilen Stellen gibt es Wände von Adiantum aleuticum, dem zarten Frauenhaarfarn. Seltener finden sich Athyrium felix-femina und Woodwardia fimbriata.
Tiere im Wald
Der Wald ist nicht leer, es gibt Vögel und viele Salamander, Frösche und Schnecken, die das feuchte Klima lieben. Dazu Säugetiere wie Berglöwen, Koyoten, Luchse, die dort jagen. Die Roosevelt Elks (Cervus canadensis roosevelti) ist das größte Rotwild des Westens, sie sind hier sehr häufig. In den Wäldern gibt es auf Ebenen Flächen immer wieder Lichtungen, die das Wild gerne nutzt.
Ich habe die Nacht auf den 23. Oktober im Nationalpark verbracht, auf dem Elk Prairie Campground, in einem feuchten Wald – in unglaublicher Stille, wie ich sie sonst nur in der Wüste erlebt habe. Hier befindet sich eine der großen Lichtungen, auf denen man die vielen Roosevelt Elks sieht. Sie waren hier fast verschwunden, aber durch Schutzmaßnahmen hat die Population über die Jahre wieder deutlich zugenommen. Auf der Lichtung sind sie regelmäßig. unterwegs, um zu grasen. Am Morgen bin ich vor Sonnenaufgang aufgestanden und hatte die Gelegenheit, ein männliches Rudel zu beobachten. Sie waren so nah, dass das 200mm-Objektiv ausreichte.
In dieser Zeit des Jahres werden auch die Kämpfe ausgetragen und immer wieder rumsten zwei Böcke die Geweihe zusammen. Das war schon irgendwie gruslig, im Nebel, ganz allein, ich hatte mir schon überlegt, was ich mache, wenn sie auf mich losgehen. Dabei war ich gar nicht weit weg von der Zivilisation, die ganze Geschichte fand auf der Wiese am Parkplatz des Visitor Centers statt. Bitte mit Lautsprechern an schauen!
Zeitlosigkeit
Kurz vor Sonnenaufgang wanderte ich dann los. Die vier Tage Regen und feuchtes Wetter sorgten für eine besondere Atmosphäre im Wald. Allerdings dachte ich zuerst, dass ich viel mehr Nebel zu sehen bekomme. Aber da war nichts. Bis dann die Sonne aufging. Der gesamte Hang lag plötzlich in Nebelschwaden, durch die die Sonnenstrahlen brachen. Dies begleitete mich auf der gesamten Wanderung. Die Rinde der Redwoods dampfte durch die Sonnenstrahlen. Moos und Farne hingen voller Tropfen. Die aufsteigende Feuchtigkeit wurde von den Bäumen wieder aufgefangen und tropfte zu Boden. Ein ewiger Kreislauf.
Diese Wanderung war speziell. Es war niemand sonst unterwegs. Ich hatte mir ein Ziel gesetzt, den Fern Canyon. Aber sobald ich diesen Wald mit seinen zeitlosen Giganten betreten hatte, gilt deren Zeit. Ich bin nicht so weit gewandert, wie ich wollte und bin auch nicht zu der Zeit zurück gekommen, zu der ich wollte, sondern sehr viel später. Wenn sich diese Giganten in Pose werfen, und das haben sie für mich, dann muss man Fotos machen. Es führt kein Weg daran vorbei. Aber diese Zeitlosigkeit ist ein Luxus in unserer durchgetakteten Zeit. Für mich war es ein Geschenk, ganz am Ende meiner langen Reise noch einmal so etwas erleben zu dürfen.
Spaziergang im Wald
Begleitet mich in der Galerie unten auf einen Spaziergang im Revier der Redwoods! Für die Fotofreunde: So gut wie alle Aufnahmen habe ich mit Stativ gemacht. ISO 100 oder 200, dazu Blende 8 oder 16 führt eben zu einer längeren Belichtungszeit, die ohne Stativ nicht machbar ist. Das habe ich mir reiflich überlegt. Erstens war es windstill im Wald, zweitens laufen die Bäume nicht weg und drittens ist bei so großen Bäumen einfach eine große Schärfentiefe wichtig.
Heinz D. Schultz meint
Wieder wunderbare Bilder und sehr schön geschrieben. Ich werde die Posts / Bilder vermissen. Die Zeitreise ist ja nun zuende. Schön wäre – um die Wunschliste abzuarbeiten – eine kleine SV Vernissage, ein Fotobuch, ein paar Bilder auf Whitewall (zum Kauf) und ggf. eine etwas kommerziellere Aktion auf LUMAS.
Bin begeistert. LG aus dem Albvorland
Sylvia Knittel meint
Dankeschön! Aber keine Sorge, da kommen noch Fotos nach, über vieles habe ich noch gar nicht geschrieben, mangels Empfang oder mangels Zeit (man sollte es kaum glauben). Vielleicht sollte ich mal meine Kollegin wegen einer Ausstellung fragen 😉
Ansonsten werde ich in den nächsten Monaten alles aufbereiten – mal schauen, was mir noch alles so einfällt. Aber Whitewall und Lumas sind schonmal ne Idee. Kalender werde ich in jedem Fall machen…
Horst meint
Tolle Bilder!
Glückwunsch zu diesen Augen, die sehen was viele sonst nicht erkennen.
Weiter so
mfG Horst